Zelter’s Briefe hatten den Wunsch Goethe’s, über die Compositionen und die Aufführungen Näheres zu erfahren, rege gemacht, so daß bei einem unserer Besuche in Weimar, er meine Frau bat, eines oder einiges daraus am Flügel zu singen. Laura konnte dieser Aufforderung nur in einer sehr beschränkten Weise genügen, da die Musik damals noch nicht im Druck erschienen war. Sie sang aus der Erinnerung die Romanze: „Es war ein König in Thule,“ welche Goethe wegen ihrer Einfachheit belobte und dabei bemerkte: Freund Zelter habe sie zwar auch sehr schön, freilich aber nur für einen mit hinreichender Grundgewalt der Baßstimme begabten nordischen Skalden, nicht für das milder gestimmte Naturkind componirt. Ueber eine der unlängst stattgefundenen Aufführungen in dem fürstlich Radziwill’schen Hôtel erstattete ich, von meiner Frau unterstützt, ausführlichen Bericht, welcher etwa Nachstehendes enthalten haben mag:
Die an den Königlichen Hof ergangenen Einladungen lauteten auf 7 Uhr pünktlich; die an die Gäste 6½ Uhr, die an die Mitwirkenden auf 6 Uhr. Die Mitglieder des Hoftheaters unter des Grafen Brühl, die der Singakademie unter Leitung des Professors Zelter, die der Königlichen Kapelle unter der des Kapellmeisters Weber, standen in geordneten Reihen und Gruppen, als der Hof eintrat. (Hierbei will ich nicht unerwähnt lassen, daß der König Friedrich Wilhelm III. nur einer einzigen Vorstellung beigewohnt hat. Wie verlautete, war er nicht nur gegen die Dichtungen Goethe’s, namentlich gegen den Faust, sondern auch gegen den Dichter persönlich eingenommen, was aus einer Begegnung mit ihm in der Rheincampagne sich herschrieb, wo Goethe in einer Anwand lung satirischer Laune – er schrieb damals seinen Reineke Fuchs – sich in Gegenwart des preußischen Kronprinzen mißfällige Anspielungen erlaubt haben soll.) – Die Seele der Vorstellung, das ordnende und bewegende Lebensprincip bei einer solchen Vorstellung war der Fürst mit dem Cello zwischen den Knieen, Ton und Takt angebend, zuweilen die Monologe allein begleitend und recitirend – besonders rührend die Gespräche Gretchens mit Faust –, zuweilen auch hinter der Scene die Worte des Erdgeistes sprechend. Die gelungensten Vorstellungen waren die, bei denen Wolff die Rolle des Faust, der Herzog Karl von Mecklenburg die des Mephistopheles, Frau Stich (später ihre Tochter Clara) die Gretchens, deren Gesangstücke Laura (später die berühmte Sonntag) vortrugen. Wie aber auch noch bei den heutigen Vorstellungen im Theater die Chöre von der allermächtigsten Wirkung sind, so waren sie es bei jener ersten im Radziwill’schen Palais in einem noch höheren Grade. In gestrenger Weise handhabte der Fürst die Ordnung im Saal. Wenn er das Zeichen zum Beginn gegeben, dann wurden die Thüren geschlossen; kein Stuhl durfte gerückt, kein Wort gesprochen werden. Als einmal nach dem Beginn an die geschlossene Thür heftig geklopft wurde und man dem Fürsten meldete: Prinz August Königl. Hoheit habe geklopft, rief der Fürst sehr vernehmlich: „muß warten, bis die Scene zu Ende ist.“ – An demselben Abend gab es noch einen sehr belustigenden Auftritt. Der Herzog Karl hatte als Mephisto die Beschwörung zu sprechen: „Der Herr der Ratten und der Mäuse,“ – bei der folgenden Zeile hielt er an und mit Rücksicht auf die unmittelbar vor ihm in erster Reihe sitzende 213Kronprinzessin, Prinzessin Karl, Wilhelm die ältere und die jüngere, sowie auch andere prinzeßliche Backfische, unterdrückte er die Worte:
und fuhr sogleich fort: „befiehlt dir, dich hervorzuwagen und diese Schwelle zu zernagen.“ Nun hatte der Fürst diese Scene dadurch noch graulicher zu machen gesucht, daß die Beschwörungsworte als ein Echo aus der Hölle von ihm selbst aus einem Versteck mit dröhnender Stimme wiederholt wurden. Als nun Mephisto jene bedenkliche Zeile ausließ, streckte der Fürst sein weißes Haupt mit flammenden Augen aus dem unterirdischen Versteck hervor und rief: „Herzog Karl! ich kann Ihnen die „Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse“ nicht schenken! noch einmal, da capo!“ Unter einem homerischen Gelächter, bei welchem der überlustige Kronprinz es allen Andern zuvorthat, mußte der Herzog von Mecklenburg sich als den Gebieter über all das ekle Ungeziefer bekennen. Zu einem nicht geringeren Ausbruche einer sogenannten „ungeheuern“ Heiterkeit ließ der Kronprinz sich hinreißen, als bei einer späteren Aufführung bei Anwesenheit der Prinzessinnen und ihrer Damen die Scene in Auerbachs Keller zur Darstellung kam und der Königliche Opernsänger Zschiesche mit seines Basses Grundgewalt das Lied von dem großen Floh nach Zelter’s Composition vortrug. Schwerlich aber dürfte jemals auf der deutschen Bühne ein vortrefflicherer Mephisto auftreten, als wir ihn von dem Herzog Karl dargestellt sahen. Dieser wurde hierbei nicht nur durch sein Naturell unterstützt: Ueberlegenheit durch satanischen Humor, Verachtung des weiblichen 214Geschlechtes wegen anderer Gelüste, Freisein von jeder Verlegenheit durch Geistesgegenwart, Schadenfreude, Heuchelei, allerunterthänigster Sclavensinn nach oben, rücksichtslose Tyrannenseele nach unten, – sondern auch das eingelernte und eingeübte feine Benehmen des vornehmen Hofmannes, die Gewandtheit des Weltmannes, der sich immer und in jedem Verhältnisse obenauf zu halten wußte (obschon es auch ihm nicht an offenen Gegnern und heimlichen Feinden fehlte), kamen ihm in dieser Rolle zu Statten*). So großen Beifall auch die berühmten Schauspieler Seydelmann, Dessoir, Döring und andre in dieser Rolle gewonnen haben: keiner von ihnen reichte auch nur im Entferntesten an die Virtuosität, mit welcher Herzog Karl den Mephisto gab. – Nach beendeter Aufführung blieb die gesammte Gesellschaft zum Abendessen beisammen, welches in einem von Schinkel nach dem Ordensrempter der Marienburg in Preußen erbauten, nur von einer Säule getragenen Saale angerichtet wurde. Es wurde an größern und kleinern runden Tischen nach Belieben Platz genommen. Der Fürst und die Fürstin machten in liebenswürdigster Weise die Wirthe und nahmen bald an diesem, bald an jenem Tische Platz bei den Sängern und den Mitgliedern der Kapelle, welche in derselben Weise wie der Königliche Hof, dessen Tafeln sich in demselben Saale befanden, bewirthet und bedient wurden, wobei das bekannte 215Sprichwort: „cantores amant humores“ nicht allein durch fröhlichen Humor, sondern auch bei den schäumenden Feuchtigkeiten des Champagners zu vollkommenster Geltung kam. –
Uebrigens sei hier bemerkt, daß Goethe durch den Fürsten selbst schon 1814 nähere Auskunft über das Vorhaben, den Faust zur Aufführung für die Bühne zu bearbeiten, erhalten hatte. In den Tages- und Jahresheften (Bd. 32 der Werke. Ausgabe 1830) finden wir folgende Notiz: „Der Besuch des Fürsten Radziwill (1814) erregte eine schwer zu befriedigende Sehnsucht; seine genialische, uns glücklich mit fortreißende Composition zu Faust, ließ uns doch nur entfernte Hoffnung sehen, das seltsame Stück auf das Theater zu bringen.“ Hier sei nun auch angeführt, was mir in Weimar durch den Kanzler Müller und Professor Riemer im vertraulichen Gespräch als eine Entschuldigung für Goethe, daß er Zelter’s Einladung wiederholentlich abgelehnt, eröffnet wurde. „Goethe,“ sagte mir der Kanzler Müller, „war nicht in der Lage, nach Berlin ausschließlich als der Freund Zelter’s zu kommen, als großherzoglich weimarischer wirklicher Geheimerath mußte er erwarten, eine Einladung in herkömmlicher Form von dem Könige, dem Kronprinzen oder den Prinzessinnen Wilhelm und Karl, welche er gern seine lieben Schülerinnen nannte, zu erhalten. Eine solche förmliche Einladung hat er nie erhalten; außerdem war ihm nicht unbekannt geblieben, daß er als Dichter sich niemals auch nur der geringsten Anerkennung bei Sr. preußischen Majestät zu erfreuen gehabt, im Gegentheil – – wie dies auch dadurch ihm zu erkennen gegeben worden sei, daß, 216selbst nachdem ihm von dem Kaiser Napoleon, dem Kaiser Franz von Oestreich, dem König Ludwig von Baiern Orden verliehen worden seien, von dem Könige von Preußen weder ihm noch Schiller eine solche Auszeichnung zu Theil geworden sei. Was ihn aber noch mehr als alle andern Rücksichten von einem Besuche Berlins im vorgerückten Alter zurückhielt, war die Befürchtung der Ovationen des Publikums im Theater, was nur die Partei der Gegner – und diese war, wie er wußte, zahlreich vertreten – zu Gegen-Demonstrationen herausgefordert haben würde. – Die wahren Verehrer und Verehrerinnen des großen Dichters waren immer der Ansicht, daß es durchaus nicht gerathen sei, Goethe zu der Reise nach Berlin zu veranlassen.“
[ Gräf Nr. 1617: Die Berichte, welche ich und meine Frau bei unsern öfter wiederholten Besuchen in Weimar dem Dichter persönlich erstatteten, gaben mir erwünschte Veranlassung, über eine und die andere Stelle im Faust mir Aufschluß und Belehrung zu erbitten, wobei ich gelegentlich auch Näheres über den zweiten Theil und über den Abschluß des Ganzen zu erfahren suchte. Ich erhielt nur ausweichende Antworten; ich erinnere mich nur, daß, als ich die Vermuthung aussprach, die Schlußscene werde doch wohl in den Himmel verlegt werden, und Mephisto als überwunden vor den Hörern bekennen, daß „ein guter Mensch in seines Herzens Drange sich des rechten Weges wohl bewußt sei,“ – Goethe kopfschüttelnd sagte: „Das wäre ja Aufklärung. Faust endet als Greis, und im Greisenalter werden wir Mystiker.“ ] [ Gräf Nr. 1948: Bei meinem letzten Besuche (1831) lagen zwei starke Foliobände, Manuscripte enthaltend, auf seinem Arbeitstische, 217und auf diese zeigend, sagte er: „Unter sieben Siegeln liegt hier der zweite Theil des Faust verschlossen; erst aber, wenn ich es nicht mehr im Stande sein werde, mögen Andere ihre Hand daran legen.“ ] Und so geschah es: der zweite Theil des Faust erschien vollständig erst nach des Dichters Tode.