∞ Dritter Act.
∞Vor dem Pallaste des Menelas zu Sparta.
∞Helena.
8488Bewundert viel und viel gescholten Helena
8489Vom Strande komm’ ich wo wir erst gelandet sind,
8490Noch immer trunken von des Gewoges regsamem
8491Geschaukel, das vom phrygischen Blachgefild uns her
8492Auf sträubig-hohem Rücken, durch Poseidons Gunst
8493Und Euros Kraft in vaterländische Buchten trug.
8494Dort unten freuet nun der König Menelas
8495Der Rückkehr samt den tapfersten seiner Krieger sich.
8496Du aber heiße mich willkommen, hohes
Haus,
8497Das Tydareos, mein Vater, nah dem Hange sich
8498Von Pallas Hügel wiederkehrend aufgebaut,
8499Und als ich hier mit Klytämnestren schwesterlich,
8500Mit Castor auch und Pollux fröhlich spielend wuchs,
8501Vor allen Häusern Spartas, herrlich ausgeschmückt.
8502Gegrüßet seyd mir der eh’rnen Pforte Flügel ihr,
8503Durch euer gastlich ladendes Weiteröffnen einst
8504Geschah’s daß mir, erwählt aus vielen, Menelas
8505In Bräutigams-Gestalt entgegen leuchtete.
8506Eröffnet mir sie wieder, daß ich ein Eilgebot
8507Des Königs treu erfülle, wie der Gattin ziemt.
8508Laßt mich hinein! und alles bleibe hinter mir,
8509Was mich umstürmte bis hieher, verhängnißvoll.
8510Denn seit ich diese Stelle sorgenlos verließ,
8511Cytherens Tempel besuchend, heiliger Pflicht gemäß,
8512Mich aber dort ein Räuber griff, der phrygische,
8513Ist viel geschehen, was die Menschen weit und breit
8514So gern erzählen, aber der nicht gerne hört
8515Von dem die Sage wachsend sich zum Mährchen spann.
∞Chor
8516Verschmähe nicht, o herrliche Frau,
8517Des höchsten Gutes Ehrenbesitz!
8518Denn das größte Glück ist dir einzig beschert,
8519Der Schönheit Ruhm der vor allen sich hebt.
8520Dem Helden tönt
Sein Name voran,
8521Drum schreitet er stolz,
8522Doch beugt sogleich hartnäckigster Mann
8523Vor der allbezwingenden Schöne den Sinn.
∞Helena.
8524Genug! mit meinem Gatten bin ich hergeschifft
8525Und nun von ihm zu seiner Stadt vorausgesandt;
8526Doch welchen Sinn er hegen mag errath’ ich nicht.
8527Komm’ ich als Gattin? komm’ ich eine Königinn?
8528Komm’ ich ein Opfer für des Fürsten bittern Schmerz
8529Und für der Griechen lang’erduldetes Mißgeschick?
8530Erobert bin ich, ob gefangen
weiß ich nicht!
8531Denn Ruf und Schicksal bestimmten fürwahr die Unsterblichen
8532Zweydeutig mir, der Schöngestalt bedenkliche
8533Begleiter, die an dieser Schwelle mir sogar
8534Mit düster drohender Gegenwart zur Seite stehn.
8535Denn schon im hohlen Schiffe blickte mich der Gemahl
8536Nur selten an, auch sprach er kein erquicklich Wort.
8537Als wenn er Unheil sänne saß er gegen mir.
8538Nun aber, als des Eurotas tiefem Buchtgestad
8539Hinangefahren der vordern Schiffe Schnäbel kaum
8540Das Land begrüßten, sprach er, wie vom Gott bewegt:
8541Hier steigen meine Krieger, nach der Ordnung, aus,
8542Ich mustre sie am Strand des Meeres hingereiht
8543Du aber ziehe weiter, ziehe des heiligen
8544Eurotas fruchtbegabtem Ufer immer auf,
8545Die Rosse lenkend auf der feuchten Wiese Schmuck,
8546Bis daß zur schönen Ebene du gelangen magst,
8547Wo Lakedämon einst ein fruchtbar weites Feld,
8548Von ernsten Bergen nah umgeben, angebaut.
8549Betrete dann das hochgethürmte Fürstenhaus
8550Und mustere mir die Mägde, die ich
dort zurück
8551Gelassen, samt der klugen alten Schaffnerin.
8552Die zeige dir der Schätze reiche Sammlung vor,
8553Wie sie dein Vater hinterließ und die ich selbst
8554In Krieg und Frieden, stets vermehrend, aufgehäuft.
8555Du findest alles nach der Ordnung stehen: denn
8556Das ist des Fürsten Vorrecht daß er alles treu
8557In seinem Hause, wiederkehrend, finde, noch
8558An seinem Platze jedes wie er’s dort verlies.
8559Denn nichts zu ändern hat für sich der Knecht Gewalt.
∞Chor.
8560Erquicke nun am herrlichen Schatz,
8561Dem stets vermehrten, Augen und Brust;
8562Denn der Kette Zier, der Krone Geschmuck
8563Da ruhn sie stolz und sie dünken sich was;
8564Doch tritt nur ein
Und fordre sie auf,
8565Sie rüsten sich schnell.
8566Mich freuet zu sehn Schönheit in dem Kampf
8567Gegen Gold und Perlen und Edelgestein.
∞Helena
8568Sodann erfolgte des Herren ferneres Herscherwort:
8569Wenn du nun alles nach der Ordnung durchgesehn,
8570Dann nimm so manchen Dreyfuß als du nöthig glaubst
8571Und mancherlei Gefäße die der Opfrer sich
8572Zur Hand verlangt, vollziehend heiligen Festgebrauch.
8573Die Kessel, auch die Schaalen, wie das flache Rund,
8574Das reinste Wasser aus der heilgen Quelle sey
8575In hohen Krügen, ferner auch das trockne Holz,
8576Der Flammen schnell empfänglich, halte da bereit,
8577Ein wohlgeschliffnes Messer fehle nicht zuletzt;
8578Doch alles andre geb ich deiner Sorge hin.
8579So sprach er, mich zum Scheiden drängend; aber nichts
8580Lebendigen Athems zeichnet mir der Ordnende
8581Das er, die Olympier zu verehren, schlachten will.
8582Bedenklich ist es, doch ich sorge weiter nicht
8583Und alles bleibe hohen Göttern heimgestellt,
8584Die das vollenden, was in ihrem Sinn sie däucht,
8585Es möge gut von Menschen, oder möge bös
8586Geachtet seyn, die Sterblichen wir ertragen das.
8587Schon manchmal hob das schwere Beil der Opfernde
8588Zu des erdgebeugten Thieres Nacken weihend auf,
8589Und konnt’ es nicht vollbringen,
denn ihn hinderte
8590Des nahen Feindes oder Gottes Zwischenkunft.
∞Chor.
8591Was geschehen werde sinnst du nicht aus,
8592Königin
schreite dahin
8593Guten Muths.
8594Gutes und Böses kommt
8595Unerwartet dem Menschen;
8596Auch verkündet glauben wir’s nicht.
8597Brannte doch Troja, sahen wir doch
8598Tod vor Augen, schmählichen Tod;
8599Und sind wir nicht hier
8600Dir gesellt, dienstbar freudig,
8601Schauen des Himmels blendende Sonne
8602Und das schönste der Erde
8603Huldvoll, dich, uns Glücklichen.
∞Helena
8604Sey’s wie es sey! Was auch bevorsteht, mir geziemt
8605Hinaufzusteigen ungesäumt in das Königshaus,
8606Das lang entbehrt, und viel ersehnt, und fast verscherzt,
8607Mir abermals vor Augen steht, ich weiß nicht wie.
8608Die Füße tragen mich so muthig nicht empor
8609Die hohen Stufen die ich kindisch übersprang.
∞Chor.
8610Werfet o Schwestern, ihr
8611Traurig gefangenen,
8612Alle Schmerzen ins
Weite;
8613Theilet der Herrin Glück,
8614Theilet Helenens Glück,
8615Welche zu Vaterhauses Heerd,
8616Zwar mit spätzurückkehrendem
8617Aber mit desto festerem
8618Fuße freudig herannaht.
∞Panthalis
∞als Chorführerin
8638Verlasset nun des Gesanges freudumgebnen Pfad
8639Und wendet nach der Thüre Flügeln euren Blick.
8640Was seh’ ich, Schwestern? Kehret nicht die Königin,
8641Mit heftigen Schrittes Regung, wieder zu uns her?
8642Was ist es, große Königin, was konnte dir
8643In deines Hauses Hallen, statt der Deinen Gruß,
8644Erschütterendes begegnen? Du verbirgst es nicht;
8645Denn Widerwillen seh ich an der Stirne dir
8646Ein edles Zürnen das mit Ueberraschung kämpft.
∞Helena
∞(welche die Thürflügel offen gelassen hat,
bewegt)
8647
Der Tochter Zeus geziemet nicht gemeine Furcht
8648Und flüchtig-leise Schreckenshand berührt sie nicht;
8649Doch das Entsetzen, das dem Schoos
der alten Nacht,
8650Vom Urbeginn entsteigend, vielgestaltet noch
8651Wie glühende Wolken, aus des Berges Feuerschlund,
8652Herauf sich wälzt erschüttert auch des Helden Brust.
8653So haben heute grauenvoll die
Stygischen
8654Ins Haus den Eintritt mir bezeichnet, daß ich gern
8655Von oft betretner, langersehnter Schwelle mich,
8656Entlaßnem Gaste gleich, entfernend scheiden mag.
8657Doch nein! gewichen bin ich her an’s Licht, und sollt
8658Ihr weiter nicht mich treiben, Mächte, wer ihr seyd.
8659Auf Weihe will ich sinnen, dann gereinigt mag
8660Des Heerdes Gluth die Frau begrüßen wie den Herrn.
∞Chorführerin
8661Entdecke deinen Dienerinnen, edle Frau,
8662Die dir verehrend beistehn, was begegnet ist.
∞Helena.
8663Was ich gesehen sollt ihr selbst mit Augen sehn,
8664Wenn ihr Gebilde nicht die alte Nacht sogleich
8665Zurückgeschlungen in ihrer Tiefe
Wunderschoos.
8666Doch daß ihrs wisset, sag’ ichs euch
mit Worten an:
8667Als ich des Königs-Hauses ernsten Binnenraum,
8668Der nächsten Pflicht gedenkend, feyerlich betrat,
8669Erstaunt’ ich ob der öden Gänge Schweigsamkeit.
8670Nicht Schall der emsig wandelenden begegnete
8671Dem Ohr, nicht raschgeschäftiges Eiligthun dem Blick,
8672Und keine Magd erschien mir, keine Schaffnerin
8673Die jeden Fremden freundlich sonst begrüßenden.
8674Als aber ich dem Schooße des Heerdes mich genaht,
8675Da sah’ ich, bei verglommner Asche lauem
Rest,
8676Am Boden sitzen welch verhülltes großes Weib,
8677Der Schlafenden nicht vergleichbar,
wohl der Sinnenden.
8678Mit Herrscherworten ruf’ ich sie zur
Arbeit auf,
8679Die Schaffnerin mir vermuthend, die indeß vielleicht
8680Des Gatten Vorsicht hinterlassend angestellt;
8681Doch eingefaltet sitzt die unbewegliche;
8682Nur endlich rührt sie, auf mein
Dräun, den rechten Arm,
8683Als wiese sie von Heerd und Halle mich hinweg.
8684Ich wende zürnend mich ab von ihr und eile gleich
8685Den Stufen zu, worauf empor der Thalamos
8686Geschmückt sich hebt und nah daran das Schatzgemach;
8687Allein das Wunder reißt sich schnell vom Boden auf,
8688Gebietrisch mir den Weg vertretend, zeigt es sich
8689In hagrer Größe, hohlen, blutig-trüben Blicks,
8690Seltsamer Bildung, wie sie Aug und Geist verwirrt.
8691Doch red’ ich in die Lüfte; denn das
Wort bemüht
8692Sich nur umsonst Gestalten schöpferisch aufzubaun.
8693Da seht sie selbst! sie wagt sogar sich ans Licht hervor!
8694Hier sind wir Meister, bis der Herr und König kommt.
8695Die grausen Nachtgeburten drängt der Schönheitsfreund,
8696Phöbus hinweg in Höhlen, oder bändigt sie.
∞
Phorkyas (Auf der Schwelle zwischen den Thürpfosten
auftretend)
∞Chor.
8697Vieles erlebt’ ich, obgleich die Locke
8698Jugendlich wallet mir um die Schläfe!
8699Schreckliches hab’ ich vieles gesehen,
8700Kriegrischen Jammer, Ilios Nacht,
8701Als es fiel.
8702Durch das umwölkte, staubende Tosen,
8703Drängender Krieger hört ich die Götter
8704Fürchterlich rufen, hört ich der Zwietracht
8705Eherne Stimme schallen durchs Feld,
8706Mauerwärts.
8707Ach, sie standen noch, Ilios
8708Mauern, aber die Flammenglut
8709Zog vom Nachbar zum Nachbar schon
8710Sich verbreitend von hier und dort
8711Mit des eignen Sturmes Wehn
8712 Ueber die nächtliche Stadt hin.
8713Flüchtend sah ich, durch Rauch und Glut
8714Und der züngelnden Flamme Lohn
8715Gräßlich zürnender Götter Nahn,
8716Schreitend Wundergestalten
8717Riesengroß durch düsteren
8718Feuerumleuchteten Qualm hin.
8719Sah’ ichs, oder bildete
8720Mir der angstumschlungene Geist
8721Solches Verworrene? sagen kann
8722Nimmer ich’s; doch daß ich dieß
8723Gräßliche hier mit Augen schau
8724Solches gewiß ja weiß ich;
8725Könnt’ es mit Händen fassen
gar
8726Hielte von dem Gefährlichen
8727Nicht zurücke die Furcht mich.
8728Welche von Phorkys
8729Töchtern nur bist du?
8730Denn ich vergleiche dich
8731Diesem Geschlechte.
8732Bist du vielleicht der graugebornen,
8733Eines Auges und Eines Zahns
8734Wechselsweis theilhaftigen,
8735Graien eine gekommen?
8736Wagest du Scheusal
8737Neben der Schönheit
8738Dich vor dem Kennerblick
8739Phöbus zu zeigen?
8740Tritt du dennoch hervor nur immer
8741Denn das Häßliche schaut Er nicht,
8742Wie sein heilig Auge noch
8743Nie erblickte den Schatten.
∞Phorkyas
8754Alt ist das Wort, doch bleibet hoch und wahr der Sinn;
8755Daß Scham und Schönheit nie zusammen, Hand in Hand,
8756Den Weg verfolgen über der Erde grünen Pfad.
8757Tief eingewurzelt wohnt in beiden alter Haß,
8758Daß wo sie immer irgend auch des Weges sich
8759Begegnen, jede der Gegnerin den Rücken kehrt.
8760Dann eilet jede wieder heftiger, weiter fort,
8761Die Scham betrübt, die Schönheit aber frech gesinnt,
8762Bis sie zuletzt des Orkus hohle Nacht umfängt,
8763Wenn nicht das Alter sie vorher gebändigt hat.
8764Euch find ich nun, ihr frechen,
aus der Fremde her
8765Mit Uebermuth ergossen, gleich der Kraniche
8766Laut-heiser klingendem Zug, der über unser Haupt,
8767In langer Wolke, krächzend sein Getön herab
8768Schickt, das den stillen Wandrer über sich hinauf
8769Zu blicken lockt; doch ziehn sie ihren Weg dahin,
8770Er geht den seinen, also wirds mit uns geschehn.
8771Wer seyd denn ihr? daß ihr des Königes Hochpalast
8772Mänadisch wild, Betrunknen gleich umtoben dürft?
8773Wer seyd ihr denn, daß ihr des Hauses Schaffnerin
8774Entgegen heulet, wie dem
Mond der Hunde Schaar?
8775Wähnt ihr, verborgen sey mir
welch Geschlecht ihr seyd,
8776Du kriegerzeugte, schlachterzogne, junge Brut?
8777Mannlustige du, so wie verführt verführende,
8778Entnervend beide, Kriegers auch
und Bürgers Kraft.
8779Zu Hauf euch sehend scheint mir ein Cicaden-Schwarm
8780Herabzustürzen, deckend grüne Feldersaat.
8781Verzehrerinnen fremden Fleißes! Naschende
8782Vernichterinnen aufgekeimten Wohlstands ihr,
8783Erobert, marktverkauft, vertauschte Waare du!
∞Helena
8784Wer gegenwarts der Frau die Dienerinnen schilt,
8785Der Gebiet’rin Hausrecht tastet er vermessen an;
8786Denn ihr gebührt allein das Lobenswürdige
8787Zu rühmen, wie zu strafen was verwerflich ist.
8788Auch bin des Dienstes ich wohl zufrieden, den sie mir
8789Geleistet als die hohe Kraft von Ilios
8790Umlagert stand und fiel und lag; nicht weniger
8791Als wir der Irrfahrt kummervolle Wechselnoth
8792Ertrugen, wo sonst jeder sich der nächste bleibt.
8793Auch hier erwart’ ich gleiches von der muntern Schaar;
8794Nicht was der Knecht sey, fragt der
Herr, nur wie er dient
8795Drum schweige du und grinse sie nicht länger an.
8796Hast du das Haus des Königs wohl verwahrt bisher,
8797Anstatt der Hausfrau, solches dient zum Ruhme dir;
8798Doch jetzo kommt sie selber, tritt nun du zurück,
8799Damit nicht Strafe werde statt verdienten Lohns.
∞Phorkyas
8800Den Hausgenossen drohen bleibt ein großes Recht,
8801Das gottbeglückten Herrschers hohe Gattin sich
8802Durch langer Jahre weise Leitung wohl verdient.
8803Da du, nun Anerkannte! nun den alten Platz
8804Der Königin und Hausfrau wiederum betrittst,
8805So fasse längst erschlaffte Zügel, herrsche nun,
8806Nimm in Besitz den Schatz und sämmtlich uns dazu.
8807Vor allem aber schütze mich die ältere
8808Vor dieser Schaar, die, neben deiner Schönheit Schwan,
8809Nur schlechtbefittigt schnatterhafte Gänse sind.
∞
(Von hier an erwiedern
die Choretiden,
einzeln aus dem Chor
heraustretend)
∞Helena.
8826Nicht zürnend, aber traurend schreit
ich zwischen euch,
8827Verbietend solches Wechselstreites Ungestüm;
8828Denn schädlicheres begegnet nichts dem Herrscherherrn
8829Als treuer Diener heimlich unterschworner Zwist.
8830Das Echo seiner Befehle kehrt alsdann nicht mehr
8831In schnell vollbrachter That, wohlstimmig ihm zurück,
8832Nein, eigenwillig brausend tos’t es um ihn her,
8833Den selbstverirrten, ins Vergeb’ne scheltenden.
8834Dieß nicht allein. Ihr habt in sittelosem Zorn,
8835Unsel’ger Bilder Schreckgestalten hergebannt,
8836Die mich umdrängen, daß ich selbst zum Orkus mich
8837
Gerissen
fühle, vaterländ’scher Flur zum Trutz.
8838Ist’s wohl Gedächtniß? war es Wahn,
der mich ergreift?
8839War ich das alles? Bin ich’s? Werd ich’s künftig seyn,
8840Das Traum- und Schreckbild jener Städteverwüstenden?
8841Die Mädchen schaudern, aber du die älteste
8842Du stehst gelassen, rede mir verständig Wort.
∞Phorkyas.
8843Wer langer Jahre mannigfaltigen Glücks gedenkt,
8844Ihm scheint zuletzt die höchste Göttergunst ein Traum.
8845Du aber hochbegünstigt, sonder Maas und Ziel,
8846In Lebensreihe sahst nur Liebesbrünstige,
8847Entzündet rasch zum kühnsten
Wagstück jeder Art.
8848Schon Theseus haschte früh dich, gierig aufgeregt,
8849Wie Herakles stark, ein herrlich schön geformter Mann.
∞Helena.
8850Entführte mich, ein dreyzehnjährig schlankes Reh,
8851Und mich umschloß Aphidnus Burg in Attika.
∞Phorkyas.
8852Durch Castor und durch Pollux aber bald befreit,
8853Umworben standst du ausgesuchter Helden-Schaar.
∞Helena.
8854Doch stille Gunst vor allen, wie ich gern gesteh’,
8855Gewann Patroklus, er des Peliden Ebenbild.
∞
Phork:
8856Doch Vaterwille traute dich an Menelas,
8857Den kühnen Seedurchstreicher, Hausbewahrer auch.
∞Helena
8858Die Tochter gab er, gab des Reichs Bestellung ihm.
8859Aus ehlichem Beiseyn sproßte dann Hermione.
∞
Phork:
8860Doch als er fern sich Creta’s Erbe kühn erstritt,
8861Dir Einsamen da erschien ein allzuschöner Gast.
∞Helena.
8862Warum gedenkst du jener halben Witwenschaft?
8863Und welch Verderben gräßlich mir daraus erwuchs?
∞
Phork:
8864Auch jene Fahrt mir freigebornen Creterin
8865Gefangenschaft erschuf sie, lange Sclaverey.
∞Helena.
8866Als Schaffnerin bestellt’ er dich sogleich hieher
8867Vertrauend vieles, Burg und kühn erworbnen Schatz.
∞
Phork:
8868Die du verließest, Ilios umthürmter Stadt
8869Und unerschöpften Liebesfreuden zugewandt.
∞Helena
8870Gedenke nicht der Freuden! allzuherben Leid’s
8871Unendlichkeit ergoß sich über Brust und Haupt.
∞
Phork:
8872Doch sagt man, du erschienst ein doppelhaft Gebild,
8873In Ilios gesehen und in Aegypten auch.
∞Helena
8874Verwirre wüsten Sinnes Aberwitz nicht gar.
8875Selbst jetzo, welche denn ich sey, ich weiß es nicht.
∞
Phork:
8876Dann sagen sie: aus hohlem Schattenreich herauf
8877Gesellte sich inbrünstig noch Achill zu dir;
8878Dich früher liebend gegen allen Geschicks Beschluß.
∞Helena.
8879Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich.
8880Es war ein Traum, so sagen ja die Worte selbst.
8881Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol.
∞(sinkt dem Halbchor in die Arme)
∞Chor.
8882Schweige, schweige!
8883Mißblickende, mißredende du!
8884Aus so gräßlichen einzahnigen
8885Lippen was enthaucht wohl
8886Solchem furchtbaren Greuelschlund.
8887Denn der bösartige wohlthätig erscheinend,
8888Wolfesgrimm unter schafwolligem Vließ,
8889Mir ist er weit schrecklicher als des drey-
8890köpfigen Hundes Rachen.
8891 Aengstlich lauschend stehn wir da,
8892Wann? wie? wo nur brichts hervor
8893Solcher Tücke
8894Tiefauflauerndes Ungethüm?
∞(Helena hat sich erholt und steht wieder in der
Mitte)
∞Phorkyas.
8909Tritt hervor aus flüchtigen Wolken hohe Sonne dieses Tags
8910Die verschleiert schon entzückte, blendend nun im Glanze
herrscht.
8911Wie die Welt sich dir entfaltet schaust du selbst mit holdem
Blick.
8912Schelten sie mich auch für häßlich kenn ich doch das Schöne wohl.
∞Helena.
8913Tret ich schwankend aus der Oede die im Schwindel
mich umgab,
8914Pflegt ich gern der Ruhe wieder,
denn so müd ist mein Gebein;
8915Doch es ziemet Königinnen, allen Menschen ziemt es wohl
8916Sich zu fassen, zu ermannen, was auch drohend überrascht.
∞
Phork:
8917Stehst du nun in deiner Großheit, deiner Schöne vor uns da,
8918Sagt dein Blick, daß du
befiehlest; was befiehlst du? sprich es aus.
∞Helena.
8919Eures Haders frech Versäumniß auszugleichen seyd bereit,
8920Eilt ein Opfer zu bestellen wie der König mir gebot.
∞
Phork:
8921Alles ist bereit im Hause, Schale, Dreyfuß, scharfes Beil,
8922Zum Besprengen, zum Beräuchern; das zu Opfernde zeig an.
∞
Phork:
8927Sie stirbt einen edlen Tod;
8928Doch am hohen Balken drinnen, der
des Daches Giebel trägt,
8929Wie im Vogelfang die Drosseln, zappelt ihr der Reihe nach.
∞Phorkyas
8930Gespenster! – – – Gleich erstarrten Bildern steht ihr da,
8931Geschreckt vom Tag zu scheiden der euch nicht gehört.
8932Die Menschen, die Gespenster sämmtlich gleich wie ihr,
8933Entsagen auch nicht willig hehrem Sonnenschein;
8934Doch bittet, oder rettet niemand sie vom Schluß;
8935Sie wissen’s alle, wenigen doch
gefällt es nur.
8936Genug ihr seyd verloren! Also frisch ans Werk.
∞(klatscht in die Hände, darauf erscheinen an der
Pforte vermummte Zwerggestalten, welche
die ausgesprochenen Befehle alsobald mit Behendigkeit ausführen)
8937Herbei du düstres, kugelrundes Ungethüm,
8938Wälzt euch hieher, zu schaden giebt es hier nach Lust.
8939Dem Tragaltar, dem goldgehörnten, gebet Platz,
8940Das Beil, es
liege blinkend über dem Silberrand,
8941Die Wasserkrüge füllet, abzuwaschen giebt’s
8942Des schwarzen Blutes greuelvolle Besudelung.
8943Den Teppich breitet köstlich hier am Staube hin,
8944Damit das Opfer niederkniee königlich,
8945Und eingewickelt, zwar getrennten Haupts, sogleich
8946Anständig würdig, aber doch
bestattet sey.
∞
Chorführ.
8947Die Königin stehet sinnend an der Seite hier,
8948Die Mädchen welken gleich gemähtem Wiesengras;
8949Mir aber däucht, der Aeltesten, heiliger Pflicht
gemäß
8950Mit dir das Wort zu wechseln, Ur-Urälteste.
8951Du bist erfahren, weise, scheinst uns gutgesinnt,
8952Ob schon verkennend hirnlos diese Schaar dich traf.
8953Drum sage, was du möglich noch von
Rettung weißt.
∞
Phork:
8954Ist leicht gesagt: Von der Königin hängt allein es ab
8955Sich selbst zu erhalten, euch Zugaben auch mit ihr.
8956Entschlossenheit ist nöthig und die behendeste.
∞Chor.
8957Ehrenwürdigste der Parzen, weiseste Sibylle du,
8958Halte gesperrt die goldne Scheere, dann verkünd’ uns Tag und
Heil;
8959Denn wir fühlen schon im Schweben, Schwanken, Bammeln
unergötzlich
8960Unsere Gliederchen, die lieber erst im Tanze sich ergötzten,
8961Ruh’ten drauf an Liebchens Brust.
∞Helena.
8962Laß diese bangen! Schmerz empfind ich, keine Furcht;
8963Doch kennst du Rettung, dankbar sey sie anerkannt.
8964Dem Klugen, Weitumsichtigen zeigt führwahr sich oft
8965Unmögliches noch als möglich. Sprich und sag es an.
∞Chor.
8966Sprich und sage, sag uns eilig: wie entrinnen wir den
grausen,
8967Garstigen Schlingen? die bedrohlich, als die schlechtesten
Geschmeide,
8968Sich um unsre Hälse ziehen.
Vorempfinden wir’s, die Armen,
8969Zum entathmen, zum ersticken, wenn du Rhea, aller Götter
8970Hohe Mutter, dich nicht erbarmst.
∞
Phork:
8971Habt ihr Geduld des Vortrags langgedehnten Zug,
8972Still anzuhören? Mancherlei Geschichten sinds.
∞
Phork:
8974Dem der zu Hause verharrend edlen Schatz bewahrt,
8975Und hoher Wohnung Mauern auszukitten weiß,
8977Dem wird es wohlgehn lange
Lebenstage durch;
8978Wer aber seiner Schwelle heilige Richte leicht
8979Mit flüchtigen Sohlen überschreitet freventlich,
8980Der findet
wiederkehrend wohl den alten
Platz,
8981Doch umgeändert alles, wo nicht gar zerstört.
∞Helena.
8982Wozu dergleichen wohlbekannte Sprüche hier.
8983Du willst erzählen, rege nicht an Verdrießliches.
∞
Phork.
8984Geschichtlich ist es, ist ein Vorwurf keineswegs.
8985Raubschiffend ruderte Menelas von Bucht zu Bucht,
8986Gestad’ und Inseln, alles streift er
feindlich an,
8987Mit Beute wiederkehrend, wie sie drinnen starrt.
8988Vor Ilios verbracht’ er langer Jahre zehn,
8989Zur Heimfahrt aber weiß ich nicht wie viel es war.
8990Allein wie steht es hier am Platz um Tyndareos
8991Erhabnes Haus? wie stehet es mit dem Reich umher?
∞Helena.
8992Ist dir denn so das Schelten gänzlich einverleibt,
8993Daß ohne Tadeln du keine Lippe regen kannst?
∞
Phork:
8994So viele Jahre stand verlassen das Thal-Gebirg,
8995Das hinter Sparta nordwärts in die Höhe steigt,
8996Taygetos im Rücken, wo als muntrer Bach
8997Herab Eurotas rollt und dann durch unser Thal
8998An Rohren breit hinfließend eure Schwäne nährt.
8999Dort hinten still im Gebirgthal hat ein kühn Geschlecht,
9000Sich angesiedelt, dringend aus cimmerischer Nacht,
9001Und unersteiglich feste Burg sich aufgethürmt,
9002Von da sie Land und Leute placken wie’s behagt.
∞
Phork.
9006Nicht Räuber sind es, Einer aber ist der Herr.
9007Ich schelt’ ihn nicht und wenn er schon mich heimgesucht.
9008Wohl konnt’ er alles nehmen, doch begnügt er sich
9009Mit wenigen Freigeschenken, nannt er’s, nicht Tribut.
∞
Phork:
9010Nicht übel! mir gefällt er schon.
9011Es ist ein munterer, kecker, wohlgebildeter,
9012Wie unter Griechen wenig, ein verständger Mann.
9013Man schilt das Volk Barbaren, doch ich dächte nicht
9014Daß grausam einer wäre, wie vor Ilios
9015Gar mancher Held sich menschenfresserisch erwies.
9016Ich acht’ auf seine Großheit, Ihm vertraut ich mich.
9017Und seine Burg! die solltet ihr mit
Augen sehn,
9018Das ist was anderes gegen plumpes Mauerwerk
9019Das eure Väter, mir nichts dir nichts, aufgewälzt,
9020Cyklopisch wie Cyklopen, rohen Stein sogleich
9021Auf rohe Steine stürtzend; dort
hingegen, dort
9022Ist alles senk- und wagerecht und regelhaft.
9023Von außen schaut sie! himmelan sie strebt empor,
9024So starr, so wohl in Fugen, spiegelglatt wie Stahl.
9025Zu klettern hier – ja selbst der Gedanke gleitet ab.
9026Und innen großer Höfe Raumgelasse, rings
9027Mit Baulichkeit umgeben, aller Art und Zweck.
9028Da seht ihr Säulen, Säulchen, Bogen, Bögelchen,
9029Altane, Gallerie’n zu schauen aus und ein,
9030Und Wappen.
∞
Phork.
9030Ajax führte ja
9031Geschlungne Schlang’ im Schilde, wie ihr selbst gesehn.
9032Die Sieben dort vor Theben trugen Bildnerey’n
9033Ein jeder auf seinem Schilde, reich bedeutungsvoll.
9034Da sah man Mond und Stern’ am nächtigen Himmelsraum,
9035Auch Göttin, Held und Leiter, Schwerter, Fackeln auch,
9036Und was bedrängliches guten Städten grimmig droht.
9037Ein solch Gebilde führt auch unsre Heldenschaar
9038Von seinen Ur-Urahnen her in Farbenglanz.
9039Da seht ihr Löwen, Adler, Klau’ und
Schnabel auch,
9040Dann Büffelhörner, Flügel, Rosen, Pfauenschweif,
9041Auch Streifen, gold und schwarz, und silbern, blau und roth.
9042Dergleichen hängt in Sälen Reih an Reihe fort,
9043In Sälen, gränzenlosen, wie die Welt so weit;
9044Da könnt ihr tanzen!
∞
Phork.
9045Die besten! goldgelockte, frische Bubenschaar.
9046Die duften Jugend, Paris duftete einzig so,
9047Als er der Königin zu nahe kam.
∞
Phork.
9049Du sprichst das letzte, sagst mit Erst vernehmlich
ja!
9050Sogleich umgeb’ ich
dich mit jener Burg.
∞Helena.
9052Wie? sollt’ ich fürchten, daß der König Menelas
9053So grausam sich verginge mich zu schädigen?
∞
Phork:
9054Hast du vergessen, wie er deinen
Deiphobus
9055Des todtgekämpften Paris Bruder, unerhört
9056Verstümmelte, der starrsinnig Witwe
dich erstritt
9057Und glücklich kebste; Nas’ und Ohren schnitt er ab
9058Und stümmelte mehr so; Greuel war es anzuschaun.
∞
Phork:
9060Um jeneswillen wird er dir das Gleiche thun.
9061Untheilbar ist die Schönheit; der sie ganz besaß
9062Zerstört sie lieber, fluchend jedem Theilbesitz.
∞(Trompeten in der Ferne, der Chor fährt zusammen)
9063Wie scharf der Trompete Schmettern Ohr und Eingeweid
9064Zerreißend anfaßt, also krallt sich Eifersucht
9065Im Busen fest des Mannes, der das nie vergißt
9066Was einst er besaß und nun verlor, nicht mehr besitzt.
∞
Phork:
9069Ihr wißt es deutlich, seht vor Augen ihren
Tod,
9070Merkt den eurigen da drinne; nein zu helfen ist euch nicht.
∞(Pause)
∞Helena.
9071Ich sann mir aus das Nächste was ich wagen darf.
9072Ein Widerdämon bist du, das empfind’ ich wohl,
9073Und fürchte, Gutes wendest du zum Bösen um.
9074Vor allem aber folgen will ich dir zur Burg;
9075Das andre weiß ich; was die Königin dabei
9076In tiefem Busen geheimnißvoll verbergen mag,
9077Sey jedem unzugänglich. Alte! geh voran.
∞Chor.
9078O wie gern gehen wir hin,
9079Eilenden Fußes;
9080Hinter uns Tod,
9081Vor uns abermals
9082Ragender Veste
9083Unzugängliche Mauer.
9084Schütze sie eben so gut
9085Eben wie Ilios Burg,
9086Die doch endlich nur
9087Niederträchtiger List erlag.
∞(Nebel verbreiten sich, umhüllen den Hintergrund,
auch die Nähe, nach Belieben)
9088Wie? aber wie?
9089Schwestern schaut euch um!
9090War es nicht heiterer Tag?
9091Nebel schwanken streifig empor
9092Aus Eurotas heilger Fluth;
9093Schon entschwand das liebliche
9094Schilfumkränzte Gestade dem Blick,
9095Auch die frei, zierlich-stolz
9096Sanfthingleitenden Schwäne
9097In gesell’ger Schwimmlust
9098Seh’ ich, ach, nicht mehr!
9099Doch, aber doch
9100Tönen hör’ ich sie,
9101Tönen fern heiseren Ton!
9102Tod verkündenden sagen sie;
9103Ach daß uns er nur nicht auch,
9104Statt verheissener Rettung Heil,
9105Untergang verkünde zuletzt;
9106Uns den schwangleichen, lang-
9107Schön weißhalsigen; und ach!
9108Uns’rer Schwanerzeugten.
9109Weh uns, weh, weh!
9110Alles deckte sich schon
9111Rings mit Nebel umher.
9112Sehen wir doch einander nicht!
9113Was geschieht? gehen wir?
9114Schweben wir nur
9115Trippelnden Schritts am Boden hin?
9116Siehst du nichts? schwebt nicht etwa gar
9117Hermes voran? Blinkt nicht der goldne Stab
9118Heischend, gebietend uns wieder zurück
9119Zu dem unerfreulichen, grautagenden,
9120Ungreifbarer Gebilde vollen,
9121 Ueberfüllten, ewig leeren Hades.